Platte des Monats
Der Ringer - Soft Kill [Staatsakt]
"Du siehst mich auf deinem Screen, zerrst ganz wild an mir herum". So nah wie der Ringer aus Hamburg liegt wohlmöglich keine deutsche Band am Zeitgeist. Analoge Gefühle in einer digitalen Welt. Oder auch andersrum. Da wird ein Bar Abend in Hamburg auch mal zum kryptischen Selbstfindungstrip.
Nachts um halb zwei. In der Hamburger Kitty bricht ekstatischer Jubel aus. Aus den Boxen dringt der Song „Orbit“ von der Ringer in die gut besuchte Bar. Eben diese Band hockt angeheitert bis betrunken im Nebenraum. Himmelhoch jauchzend.
Rein zufällig sitze ich ebenfalls in dieser Bar. Nachdem an diesem Abend bereits die Sätze: „Hey, der Ringer bringen doch heute ihr Debütalbum raus!“ Und: „Die sind doch bestimmt irgendwo saufen!“, gefallen waren, stolperte ich samt Begleitung durch die Tür der Kitty, was zum eingangs erläuterten Szenario führte.
Bis der letzte Knochen bricht
Hinter mir sitzen sich die zwei DJ's gegenüber am Tisch, jeder einen Plattenteller vor sich. Alle paar Songs wieder mal einer von „Soft Kill“ dem Debütalbum der Hamburger „Soft-Punk“ Band der Ringer. Soft, weil die Texte Gefühle vermitteln, melancholisch sind. Punk, weil es auch mal knallen muss. Der Sound, wenn man ihn denn unbedingt einordnen muss, liegt irgendwo zwischen kaltem Post-Punk a la Joy Division, kann in ruhigen Momenten aber auch zarte Popherzen erobern. Der Bass brummt, darüber pointierte Gitarrenriffs. Die oft zitierten Synthie-Flächen liegen eher im Hintergrund, halten das Soft-Konstrukt zusammen, das Schlagzeug, Geschrei und Verzerrung gelegentlich einreißen. „Ich bemühe mich, bis der letzte meiner Knochen bricht!“, schreit Sänger Jannik Schneider dann gegen eine unüberwindliche Wand aus sich überschlagenden Gitarren. Es bleibt die einzige Zeile von „Knochenbrecher“, trotzdem ist alles gesagt.
Digital ist besser
Der Ringer singen vom digitalen Menschen, von analogen Gefühlen im digitalen Weltraum: „Du siehst mich auf deinem Screen, ziehst ganz wild an mir herum“, heißt es in „Apparat“. Und: „Für dich bin ich nicht real, ein Gesicht im Datenstrom“. Digital auch der Gesang: Effekt-Overkill, Autotune – was zunächst verwundert, vielleicht sogar stört, denn Autotune kennt das deutsche Ohr nur aus der Pop Musik, in Amerika gehört es längst zum akzeptierten Stilmittel in der Indie-Szene. Hierzulande beschränkt sich das auf Art-Pop-Elektro-Gefrickel wie von Fraktus oder auf Indie-Szenesternchen Bilderbuch.
Gedankenpuzzle
In der Kitty wird weiter geraucht. Espresso mit 43er getrunken. Sambuca. Wodka. Langsam leert sich die Bar. Nur der Jubel im Nebenraum bleibt. Im viertelstunden Takt. „Wer drückte diese Laserwaffe in meine Hand?“. Der Ringer bleiben gerne kryptisch: „Violence, das Virus, das mich quält, dass mir im Weg steht – sehen wir uns im nächsten Level?“. Manchmal schaffen sie verquere, mal klarere Bilder. Dabei bleibt das Gesungene aber nicht unverstanden zurück, man schnappt sich die Zeilen wie einen Haufen Puzzle-Teile und setzt sie in Gedanken zu immer neuen Bildern zusammen.
Ich drücke die letzte Kippe aus, leere mein Bier. 4 Uhr. Ohje. Beim rausstolpern dann doch nochmal leichter Jubel von nebenan: „Ohnmacht, mir zitttern die Knie“ heißt es aus den Boxen und ich wanke an die Frische Luft.
Kalt
„Werde ich nicht erfrieren mit mir zusammen? Im schrillen Dunst, wie Kristalle, unbeweglich. Statt zu fallen, schlafen wir!“. Gedanken für den Heimweg. Irgendwo zwischen „Ich friere nicht, denn du hälst mich gesund“ und „Ich erfriere gern mit dir“. Ambivalenz ist der Tenor. Zwischen dem Befindlichkeitsgebilde vom Ich, dem Du und dem digitalen Wir.
Der Ringer hüllen sich in einen dicken Mantel aus schweren Gedanken, aber nicht ohne sich einen Spalt zum Atmen zu lassen: „Im Orbit umkreis ich dich, wenn du hochschaust dann siehst du mich“, heißt es im Album-Opener „Orbit“. Nur treffen werden sie sich vermutlich nie. Aber es ist schön zu wissen dass jemand da ist. Dasselbe gilt für diese Band.
„Soft Kill“ von der Ringer ist am 27. Januar 2017 bei Staatsakt erschienen.